Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM).

Ein Kündigungshindernis?

Mehrere Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts im Jahre 2015 zwingen zu einer dramatischen Änderung der rechtlichen Bewertung von krankheitsbedingten Kündigungen im Zusammenhang mit der Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements (BEM):

I.

Grundsätzlich obliegt dem Arbeitgeber nach § 84 Abs. 2 Satz 1 SGB IX (Sozialgesetzbuch Neuntes Buch) die Verpflichtung, mit Zustimmung und Beteiligung der betroffenen Person zu klären, wie

  • eine Arbeitsunfähigkeit überwunden
  • mit welchen Leistungen oder Hilfen erneute Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt und
  • der Arbeitsplatz erhalten werden kann

Diese Verpflichtung besteht für den Arbeitgeber immer dann, wenn Mitarbeiter innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig sind bzw. waren. Dabei ist die zuständige Interessenvertretung, bei schwerbehinderten Menschen außerdem die Schwerbehindertenvertretung, einzubeziehen. Denn nach § 84 Abs. 2 Satz 7 SGB IX wachen diese Institutionen einschließlich der Betriebsrat darüber, dass der Arbeitgeber seine gesetzlichen Verpflichtungen erfüllt. Bereits im Jahre 2007 entschied das Bundesarbeitsgericht (BAG), dass diese Obliegenheit ein betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) durchzuführen, für alleArbeitnehmer besteht und nicht etwa nur für behinderte Menschen.

II.

Die Durchführung des BEM ist bei Ausspruch einer krankheitsbedingten Kündigung wie folgt zu berücksichtigen und zu prüfen:

  1. Fehlzeiten oder Leistungsminderungen führen zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen oder wirtschaftlichen Interessen des Arbeitgebers (Betriebsablaufstörungen, Lohnvorzahlungskosten).
  1. Der Arbeitgeber muss eine negative Gesundheitsprognose treffen, nach der im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung objektive Tatsachen vorliegen müssen, die die Besorgnis weiterer Erkrankungen im bisherigen Umfang rechtfertigen. Die Fehlzeiten in der Vergangenheit bewirken eine sogenannte Indizwirkung für die Zukunft.
  1. Für den Arbeitgeber sind keine milderen Mittel (z. B. Überbrückungsmaßnahmen) möglich oder zumutbar. Nach der neuesten Rechtsprechung des BAG ist auch ein BEM nach § 84 Abs. 2 SGB IX als solch ein vorrangiges Mittel anzusehen.
  1. Vor einer Kündigung muss der Arbeitgeber eine Interessenabwägung der Gestalt vornehmen, dass die erheblichen Beeinträchtigungen gemäß Ziffer 1 ein solches Ausmaß erreicht haben, dass sie ihm nicht mehr zuzumuten sind, insbesondere weitergehende Überbrückungsmaßnahmen nicht mehr verlangt werden können.

Nach den Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts vom 20.11.2014 und 13.05.2015, veröffentlicht in der Neuen Zeitschrift für Arbeitsrecht NZA 2015, Seite 612 und NZA 2015, Seite 931 sowie NZA 2015, Seite 1249 führt ein unterlassendes BEM in aller Regel zum Scheitern einer krankheitsbedingten Kündigung. Denn ist es Sache des Arbeitgebers, die Initiative zur Durchführung eines gesetzlich gebotenen betrieblichen Eingliederungsmanagement zu ergreifen. Dazu gehört, dass er den Arbeitnehmer auf die Ziele des BEM sowie die Art und den Umfang der hierfür erhobenen und verwendeten Daten hinweist. Ergreift der Arbeitgeber die gesetzlich gebotenen Initiative nicht, muss er zur Darlegung der Verhältnismäßigkeit eine auf krankheitsbedingte Fehlzeiten gestützten Kündigung nicht nur die objektive Nutzlosigkeit arbeitsplatzbezogener Maßnahmen im Sinne von § 1 Abs. 2 Satz 1 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) aufzeigen. Er muss vielmehr auch dartun, dass künftige Fehlzeiten ebenso wenig durch gesetzlich vorgesehene Hilfen oder Leistungen der Rehabilitationsträger hätten vermieden werden können. Anforderungen, die in der Praxis kaum gelingen dürften.

Mit anderen Worten:

Durch die geänderte Rechtsprechung wird eine Kündigung wegen krankheitsbedingter Fehlzeiten in Zukunft den Arbeitgebern viel schwieriger mit Erfolg durchzusetzen sein.

Hans-Christian Agarius HansAdolf Welp
(Bachelor of Laws) (Fachanwalt für Arbeitrecht)